Einleitung

Bereits zu Beginn der 1950er Jahre begannen auf italienische Initiative hin die Verhandlungen zwischen den Regierungen Italiens und der Bundesrepublik Deutschland über die Anwerbung von Gastarbeitern. 1955 fanden sie mit dem bilateralen Abkommen ihren Abschluss. 1957 folgten die Römischen Verträge, die man als Auftakt für die Schaffung der Europäischen Union bezeichnen kann. Mittlerweile lebt in Deutschland die zweite und dritte Generation der Nachfahren der italienischen Gastarbeiter. Des Weiteren lässt sich seit den 1990er Jahren eine neue Blüte der italienischen Einwanderung nach Deutschland feststellen. Gemeint sind Immigranten, die anders als diejenigen der 1950er und 1960er Jahre nicht mehr in der Industrie arbeiten. Oft handelt es sich um Vertreter der „neuen europäischen Mobilität“, wie sie vom europäischen Einigungsprozess und von Programmen wie ERASMUS u. a. begünstigt werden (Pichler 2006).

Tab. 1: Italienischstämmige Personen in Deutschland, gemäß ihrem Migrantenstatus (Mikrozensus 2009; Quelle: Statistisches Bundesamt 2010)
mit Migrationserfahrung ohne Migrationserfahrung insgesamt
absolut % absolut % absolut
434 000 56,6 337 000 43,4 771 000

So lassen sich grob drei Kategorien oder Typologien von Italienern in Deutschland feststellen: 1. die Generation der Gastarbeiter, 2. deren Nachfahren (zweite, dritte Generation usw.) und 3. die neuen Mobilen, auch euromovers genannt. Seit der ersten Ankunft von italienischen Gastarbeitern in der Bundesrepublik sind mehr als fünfzig Jahre vergangen, und man kann sich fragen, ob die Italiener in Deutschland nach wie vor in manchen Belangen „Gastarbeiter“ geblieben sind oder ob sie inzwischen (Mit-)Bürger geworden sind, integriert in die deutsche Gesellschaft und Teilhaber der verschiedenen Staatsbürgerrechte, oder schließlich, ob sie auch Vertreter neuer Migrationsformen sind.

Staatsbürgerschaftsrechte nach Marshall

Thomas H. Marshall hat 1950 in Citizenship and social class die staatsbürgerlichen Rechte in drei Kategorien unterteilt:

  • zivile Staatsbürgerschaftsrechte;
  • soziale Staatsbürgerschaftsrechte;
  • politische Staatsbürgerschaftsrechte.

Die zivilen Staatsbürgerschaftsrechte basieren auf der Garantie der individuellen Rechte: Meinungsfreiheit, Religionsfreiheit etc. Die sozialen Staatsbürgerschaftsrechte garantieren ein Minimum an Wohlstand, an wirtschaftlicher Sicherheit und ein menschenwürdiges Leben. Die Institutionen, die die sozialen Staatsbürgerschaftsrechte garantieren, sind für Marshall das Bildungssystem und das Sozialsystem. Mit den politischen Staatsbürgerschaftsrechten meint Marshall die politische Partizipation, sei es als Wähler oder als Mitglied einer Partei. Gerade die Ausübung dieser letzten Kategorie (politische Staatsbürgerschaftsrechte) konstituiert nach Marshall die Voraussetzung für die Ausübung der anderen Rechte (Marshall 2000).

Edith Pichler – Portrait


Edith Pichler,
Dr. phil.
Geboren in Bozen (Italien), aufgewachsen in Cles (Trentino). Studium der Politischen Wissenschaften am Otto-Suhr-Institut der Freien Universität Berlin. 1995 Promotion, Lehrtätigkeit am Institut für Sozialwissenschaften der Humboldt-Universität zu Berlin, am Otto-Suhr-Institut der Freien Universität Berlin, am Institut für Soziologie der Universität La Sapienza Rom. 2007 Studie „GeisteswissenschaftlerInnen mit Migrationshintergrund in Beruf und Arbeitsmarkt“. Seit 2010 Forschungsprojekt „Junge Italiener in Deutschland zwischen Inklusion und Exklusion. Eine Fallstudie“. German review editor für die Zeitschrift „Altreitalie – International journal of studies on Italian migrations in the world“.
Ich wurde in Bozen geboren, aber aufgewachsen bin ich in Cles-Val di Non (Trentino). So hatte ich schon als Kind indirekt mit einem Teil der zukünftigen Forschungsinteressen von Dieter Kattenbusch zu tun, denn im Val di Non spricht man einen besonderen Dialekt, der anscheinend zu den ladinischen Dialekten gehört. Allerdings wusste er das damals in den 1960er/70er Jahren auch noch nicht, denn er war ja selbst noch Schüler … und uns Kindern war ebenfalls nicht so bewusst, dass wir von Leuten umgeben waren, die eine besondere Sprache sprachen, eine Sprache, die wir, wenn auch nicht so perfekt, durchaus im Alltag benutzten. Später, als Prof. Kattenbusch, ist er im Val di Non gewesen und hat dort über den Nones Dialekt geforscht bzw. ihn untersucht. Jedoch haben wir uns nicht im Rahmen der Dialektforschung kennengelernt, sondern durch Dr. Raffaelle Sanzo, damals Technischer Leiter im italienischen Bildungsministerium und bei der Italienischen Botschaft in Berlin und für den Sektor Schule und Bildung zuständig. In Zusammenarbeit mit Dieter Kattenbusch organisierte er 2004 eine Konferenz über Italienische Jugendliche im deutschen Schulsystem. Auf der Konferenz habe ich ein Referat gehalten und Dieter so kennengelernt. Seitdem sind wir in Kontakt geblieben, und Dieter hat mich u.a. einige Male zu seinen Konferenzen als Referentin eingeladen. Außer den Dialekten und anderen wissenschaftlichen Themen verbindet uns auch die Liebe zu den Alpen, und dass seine Frau aus Innsbruck stammt … wie meine Großmutter.

Tatsächlich haben die Italiener in Deutschland einen Weg zurückgelegt, der sie vom Recht der Teilhabe am Wohlfahrtsstaat (soziale Bürgerrechte) zur Teilhabe an den staatsbürgerlichen Rechten geführt hat, bis hin zu Formen der politischen Partizipation, die jedoch noch nicht vollständig ausgeübt wird, da sie für EU-Bürger auf das kommunale Wahlrecht beschränkt bleibt.

Migrantentypologien und Staatsbürgerschaftsrechte

Die Ziele der sogenannten Gastarbeiter waren die deutschen Industriegebiete: Stuttgart, Köln, München, Wolfsburg usw. Da sie häufig über die Deutsche Kommission angeworben wurden, besaßen sie bereits vor ihrer Auswanderung aus Italien einen Arbeitsvertrag und waren durch ihre Arbeit ins wohlfahrtsstaatliche System eingebunden, was heißt, dass sie auch teilweise in den Genuss sozialer Rechte kamen. Ihr institutionalisiertes Sozialkapital, um mit Bourdieu (1983) zu sprechen, war nicht besonders hoch. Wenn sie beispielsweise Berufsausbildungsabschlüsse besaßen, wurden diese oft nicht anerkannt, weil sie den deutschen Parametern nicht entsprachen. Zudem waren die für sie vorgesehenen Arbeitsplätze solche im Niedrigsegment der Produktion, die keine spezielle Berufsqualifikation erforderten.

Die sozialen Netzwerke der Gastarbeiter hatten außerhalb der Fabrik und der Gewerkschaft, die oftmals als Stimme der politisch-sozialen Anliegen auftrat, vorwiegend einen ethnischen Charakter. Neben den Katholischen Missionen und den regionalen Vereinen waren die Organisationen der Parteien präsent, die in den Emigranten potenzielle Wähler sahen und eher an der Beibehaltung des Kontakts zu Italien als an der Integration der Gastarbeiter in die deutsche Gesellschaft interessiert waren. Mittlerweile sind diese ethno-politisch-sozialen Netzwerke verschwunden, oder sie haben zumindest ihre Aktivitäten verringert (Pichler 2006). Auf diese Weise haben sie unfreiwillig die gesellschaftliche Isolierung der in Deutschland alt gewordenen Gastarbeiter vergrößert. Das soziale Unbehagen wird zusätzlich dadurch verstärkt, dass ihre Rente nicht zuletzt aufgrund der Arbeit, die sie geleistet haben, nicht sehr hoch ist. Diese Generation, die rückkehrorientiert war, hat häufig ihr Erspartes in den Kauf eines Hauses in der Heimat investiert, mit der Absicht, wenigstens im Rentenalter zurückzukehren. Die Rückkehr erfolgt allerdings in manchen Fällen aus ökonomischer Not, da in Deutschland mit dem ihnen zur Verfügung stehenden Einkommen kein, wie Marshall schreibt, würdiges Leben nach dem maßgebenden sozialen Standard möglich ist.

Wegen der ausgeübten schweren Tätigkeiten bedürfen viele von ihnen außerdem ärztlicher Betreuung und medizinischer Versorgung, die das italienische Gesundheitssystem, das in manchen Gegenden Italiens veraltet ist, nicht bereitstellt oder leistet. Da in den allermeisten Fällen die Söhne und Töchter in Deutschland leben, muss diese Generation erneut pendeln: Frühling und Sommer verbringt man in Italien und bebaut ein Stückchen Land, den Winter verbringt man bei den Kindern und lässt sich medizinisch versorgen. Das sei ein „zerteiltes Leben“, sagte ein betagtes Ehepaar vor ein paar Jahren in einem Gespräch mit der Autorin. Diese Generation ist „transitorisch“ geblieben, ohne jedoch wirklich „mobil“ wie die jüngere Generation zu werden: von Gastarbeitern wurden sie zu Gastsenioren.

Die zweite und dritte Generation

Die zweite und die dritte Generation erfährt, anders als die erste Generation – also Eltern oder Großeltern, die bisweilen mit Formen von Abwehr und mit Vorurteilen konfrontiert waren – eine symbolische Inklusion. Manchmal ist diese jedoch stereotyp: Dolce Vita, Italian Life Style usw. Es wird ihnen also eine gewisse italienische „Wesensart“ auferlegt, und diese wird so perpetuiert, wie sie im deutschen Vorstellungshaushalt existiert. Wenig Raum findet sich dadurch für die Identitäten, die doch längst „hybrid“ sind. Diese „positiven Stereotypen“ können aber schnell ins Negative umschlagen. Das war zum Beispiel nach den Ereignissen von Duisburg der Fall, als Der Spiegel in der Rubrik „Ausländer“ (und nicht EU-Bürger) einen Artikel mit dem Titel „Weiße Weste für die Parallelwelt”1 veröffentlichte, in dem der Begriff Parallelwelten bzw. Parallelgesellschaften auf die italienische Community in Deutschland angewendet wurde.

Zusätzliche Stereotype entstehen, indem man bestimmte Berufe als typisch für bestimmte Migrantengruppen ansieht, so zum Beispiel Italiener = Ristoratori oder Pizzabäcker.2 Durch diese Gleichsetzung findet eine Art „ethnische Teilung“ der Berufe statt, bei der für die Italiener zum Beispiel spezifische ökonomische Nischen reserviert sind. Dies kann sich als ein Hindernis für die zweite oder dritte Generation erweisen und mögliche Perspektiven sowie den Zugang in andere Sektoren bremsen. Erschwerend kommt hinzu, dass diese Generation eine nur geringe Inklusion ins deutsche Bildungssystem aufweist. Damit ist ihre Partizipation an den sozialen Staatsbürgerschaftsrechten3 gefährdet.

Tab. 2: Schüler in Sekundarschulen und Förderschulen nach ausgewählter Nationalität in Prozent – Schuljahr 2008/09 (Quelle: Statistisches Bundesamt 2010)
Nationalität Schule
Hauptschule Realschule Gesamtschule Gymnasium Förderschule
Deutsche 8,6 14,1 5,3 28,7 4,1
Griechen 21,8 14,7 6,1 15,6 6,1
Italiener 23,7 13,8 6,9 9,9 8,6
Polen 17,2 11,5 8,0 16,6 3,3
Türken 23,4 14,5 10,4 9,3 6,9
Vietnamesen 5,9 11,2 5,0 39,9 1,7

Die Pisa-Studien der OECD haben gezeigt, dass Schulerfolg in Deutschland in hohem Maße vom Herkunftsmilieu abhängt. Schüler aus Familien mit hohem kulturellem Kapital haben eher die Chance, aufs Gymnasium zu gehen, das Abitur zu machen und ein Studium an der Universität zu beginnen.

Gerade die Gastarbeiterkinder leiden am meisten unter einem selektiven Schulsystem, das solche Schüler „bestraft“, die aus Familien ohne hohes Schulbildungsniveau und ohne passenden, dominanten Habitus stammen. Tatsächlich spielen ja gerade das inkorporierte Kapital und der Habitus der Familie für die Schulkarriere eine fundamentale Rolle. Folglich lässt sich eine Korrelation beobachten zwischen den schulischen Leistungen der italienischen Schüler und der Zusammensetzung der jeweiligen Communities.

Tab.3 : Italienische Schüler in ausgewählten Bundesländern in der Förderschule und in der Sekundarschule in Prozent – Schuljahr 2009/10 (Quelle: Statistisches Bundesamt 2011)
Schule
Bundesland Förderschule Hauptschule Gymnasium Realschule Gesamtschule
Baden-Württ. 10,4 54,9 28,7 12,4 0,41
Bayern 9,8 59,3 20,7 18,2 0,36
Rheinl.-Pfalz 6,0 25,3 23,0 19,4 12,1
NRW 7,6 30,9 23,0 17,2 26,2
Niedersachsen 5,2 23,2 34,5 22,5 18,7
Hessen 8,4 16,9 29,7 26,7 23,2
Saarland 5,4 1,6 2,7 16,3 25,2
Berlin 2,3 9,6 18,8 50,6 17,9

Gerade in den typischen Gebieten der Arbeitsimmigration wie Baden-Württemberg, Bayern und Hessen – dort, wo das Schulsystem eher selektiv ist – weisen die italienischen Schüler die höchste Quote an Förderschülern auf. Dort gibt es auch die meisten Hauptschüler italienischer Herkunft (Pichler 2008).

Einen Sonderfall stellt die Situation italienischer Schüler in Berlin dar, wo die Schulperformance ganz andere Tendenzen zeigt. Dies kann auf das weniger selektive Schulsystem Berlins zurückgeführt werden und auf das Modell der bilingualen Europa-Schulen (Staatliche Europa-Schulen/SESB),4 das seit zehn Jahren existiert. Allerdings sind diese Schulerfolge auch auf die Zusammensetzung der italienischen Community in Berlin zurückzuführen, die nicht nur die typische Gastarbeitermigration erfahren hat, sondern durch die Zuwanderung von unterschiedlichen Migrantentypen – aus unterschiedlichen Milieus und häufig im Besitz höheren kulturellen Kapitals – charakterisiert ist (Pichler 2008). Berlin ist außerdem nach dem Fall der Mauer besonders in den letzten zehn Jahren Ziel der neuen europäischen Mobilität und so auch der italienischen euromovers (Pichler 2011).

Die neuen Mobilen oder die Euromovers

Diese neuen mobilen jungen Menschen erleben die Auswanderung einerseits als Zwang, weil sie in ihren Herkunftsländern kaum Chancen sehen; zugleich aber – und das gilt besonders für diejenigen, die aus den italienischen Wohlstandsgebieten kommen – ist die Emigration eine freie Entscheidung, um einem gewissen Provinzialismus und der Sozialkontrolle durch die Familie zu entkommen, bei der der Großteil der jungen Leute zuvor noch wohnte.

Die neue Mobilität hat nicht nur zu einer ständigen Pluralisierung der italienischen Community im Hinblick auf ihre soziale Zusammensetzung beigetragen. Ebenso zeigt sich eine deutliche Zunahme des weiblichen Anteils. Während in früheren Phasen die Einwanderung von Männern dominiert wurde, lässt sich gerade in den jüngeren Altersgruppen und bei den neuen Mobilen ein ausgeglichenes Verhältnis zwischen den Geschlechtern beobachten. Die unterschiedliche Geschlechterzusammensetzung nach Altersgruppen mit einer stärkeren Präsenz von Männern unter den älteren Einwanderern kann unter anderem auf zwei Entwicklungen hindeuten. Erstens findet die Mobilität der jüngeren weiblichen Generation nicht mehr wie in der Gastarbeiterzeit im Rahmen der Familienzusammenführung statt (Begleitung des Ehemannes, Nachzug der Kinder). Sie gestaltet sich auch aufgrund von Transformationen und Modernisierungsprozessen innerhalb der italienischen Gesellschaft immer mehr als ein selbständiges Projekt. Zweitens weist sie auf die Veränderungen der Beschäftigungs- bzw. Arbeitsmarktstruktur hin (ebd.).

Die jungen euromovers verfügen oftmals über ein hohes kulturelles Kapital; sie sind vielfach in den neuen Feldern der creative industries aktiv. Meist handelt es sich dabei um kurzfristige, vorläufige Tätigkeiten, gewissermaßen um „erfundene Berufe“, wobei die Gastronomie als „Komplementärsektor“ dient, um andere Aktivitäten zu finanzieren oder um überhaupt „über die Runden zu kommen“. Auch bei ihnen scheinen, wie zum Beispiel Klaus Dörre (2009) festgestellt hat, standardisierte und sozialstaatlich geschützte Beschäftigungsverhältnisse subjektiv an Attraktivität verloren zu haben. Laut Dörre betrachten sich viele dieser Personen trotz flexibler Beschäftigungsverhältnisse keineswegs als Prekarier. Die Zugehörigkeit zu diesen „kreativen Prekariern“ (Dörre 2009) stellt für sie eine Form der „feinen Distinktion“ (Bourdieu 1987: 405) dar, die sie von der zum Teil kleinbürgerlichen Herkunftswelt oder von anderen Migranten unterscheidet.

Die sozialen Netzwerke der neuen Mobilen sind eher transversal angelegt, ethnisch gemischt und interkulturell. Hier sorgen vielmehr das Herkunftsmilieu und der Habitus für Zugehörigkeit und nicht so sehr die ethnische Gruppe. Die überethnischen bzw. transkulturellen Netzwerke scheinen mehr im lebensweltlichen Bereich eine Bedeutung zu haben. Es handelt sich vorwiegend um kulturelle Initiativen (Schule, Elterninitiativen, Kulturorganisationen) oder um zivilgesellschaftliche Organisationen (Parteien, Menschenrechts-, Umweltschutzorganisationen), wobei die bi-kulturellen Kompetenzen der Akteure eine Bereicherung für die Aktivität des Vereins darstellen.

Bei einigen neuen Mobilen werden also Netzwerke aktiviert, die auf der gemeinsamen Herkunft aus Italien beruhen: Sie dienen als Informationsquelle und der gegenseitigen Unterstützung. Gerade die im letzten Jahrhundert erfolgte Binnenmobilität in Italien und die Verbreitung von Fernsehen, Rundfunk und neuen Medien haben zu einer Italianisierung der Bevölkerung beigetragen, die nicht mehr nur den lokalen Dialekt spricht und lediglich die „Dorfgemeinschaft“ kennt. Für die neuen Einwanderer, die vorwiegend aus einem urbanen Milieu stammen, haben die für die Gastarbeitergeneration noch wichtigen regionalen Netzwerke nur eine relative Bedeutung. Wenn vorhanden, haben sie eher „folkloristischen“ Charakter und sind im Gegensatz zur Vergangenheit offen für Personen anderer regionaler und nationaler Herkunft (Pichler 2011).

Resümee

Die Mobilität in Europa hat sich im Laufe der Zeit gewandelt: Von der Migration von Arbeitskräften im Rahmen von bilateralen Verträgen in den 1950er und 1960er Jahren über Bewegungen im Rahmen der Familienzusammenführung in den 1970er Jahren bis zu neuen Formen der Mobilität, die durch die europäischen Integrationsprozesse gefördert werden. Wenn in der Vergangenheit Migration bedeutete, sich von einem nationalen Container in einen anderen zu bewegen, ist man heute mit Personen konfrontiert, die häufig einen transnationalen Habitus besitzen und die, indem sie lokal/global (glocal) agieren, die nationalen Container zunehmend porös werden lassen (Mau 2007: 37). Migration wird von einer zunehmenden Zahl von Personen als ein permanenter Zustand und eine neue soziale Realität konzipiert: so für die Gast-Senioren, deren Nachfahren, die Transnationalen und die neuen Mobilen. Dadurch entstehen „hybride“ Identitäten, die die Vorstellungen von Staatsangehörigkeit und nationaler Identität unterlaufen und dementsprechend auch die Praxis des Zugangs zu den Staatsbürgerrechten. Angesichts solcher neuer Mobilitätsphänomene ist die Ausweitung des Begriffs von Staatsbürgerschaft hin zu einer europäischen (Staats-)Bürgerschaft wünschenswert. Die sozio-strukturellen Daten zur Situation der Italiener in der Bundesrepublik bezüglich Arbeit, Schule und Ausbildung sowie ihre Partizipation am politischen Leben zeigen, dass ein Teil der Italiener in Deutschland von einer echten, vollständigen Inklusion in die Rechte der Staatsbürgerschaft, die sie zu europäischen Bürgern machen würde, noch weit entfernt ist.

Anmerkungen

1 So: „Weiße Weste für die Parallelwelt. 530 000 Italiener leben in Deutschland, sie scheinen gut integriert. In Wahrheit schotten sich etliche in Familienbünden ab. Das bietet der Mafia einen prächtigen Nährboden für ihre Geschäfte.“ Der Spiegel 50/2007 vom 10.12.2007, S. 58.

2 Inzwischen will man nicht nur in der Alltagsprache mit dem Begriff „beim Italiener“ sagen, dass man in einem italienischen Restaurant war.

3 Für Marshall hat die Bildung der Kinder einen direkten Einfluss auf den Staatsbürgerstatus: „Wenn der Staat für alle Kinder eine Erziehung sicherstellen will, dann hat er dabei ausdrücklich die Voraussetzung und das Wesen des Staatsbürgerstatus im Blick. Er versucht, die Entwicklung der werdenden Staatsbürger zu fördern. Das Recht auf Bildung ist ein genuines soziales Recht der Staatsbürgerschaft […]. Grundsätzlich sollte es nicht als das Recht des Kindes auf den Besuch der Schule angesehen werden, sondern als das Recht des erwachsenen Staatsbürgers, eine Erziehung genossen zu haben […]. Bildung ist eine unverzichtbare Voraussetzung der bürgerlichen Freiheit.“ (Marshall 2000: 61).

4 Verschiedene Studien haben gezeigt, dass die bilinguale Schulerziehung, in der die kulturellen Kompetenzen der Schüler mit Migrationshintergrund anerkannt und aufgewertet werden, ihre Inklusion in das Schulsystem fördert (Gogolin 2003, Graf/Fernandez-Castillo 2011).

Literatur

Bourdieu, Pierre (1983): Ökonomisches Kapital, kulturelles Kapital, soziales Kapital, in: Kreckel, Reinhard (Hg.): Soziale Ungleichheiten, Soziale Welt, Sonderband 2, Göttingen, 183–198.

– (1987): Die feinen Unterschiede. Kritik der gesellschaftlichen Urteilskraft, Frankfurt a.M.

Brandt, Andrea/Kaiser, Simone/Kleinhubbert, Guido/Ulrich, Andreas/Weinzierl, Alfred (2007): Weiße Weste für die Parallelwelt, Der Spiegel 50, 58–62.

Dörre, Klaus (2009): Prekarität im Finanzmarkt-Kapitalismus, in: Castel, Robert/Dörre, Klaus (Hg.): Prekarität, Abstieg, Ausgrenzung. Die soziale Frage am Beginn des 21. Jahrhunderts, Frankfurt a.M./New York, 35–64.

Gogolin, Ingrid (2003): Gleiche Bildungschancen für Kinder mit Migrationshintergrund – möglich auch in Deutschland?, in: Beauftragte der Bundesregierung für Migration (Hg.): Förderung von Migranten und Migrantinnen im Elementar- und Primarbereich. Dokumentation, Berlin, 17–30.

Graf, Peter/Fernandez-Castillo, Antonio (Hg.) (2011): Schüler auf dem Weg nach Europa. Interkulturelle Bildung und Mehrsprachigkeit in der Schule, Bad Heilbrunn.

Marshall, Thomas H. (2000): Staatsbürgerrechte und soziale Klassen, in: Mackert, Jürgen/Müller, Hans-Peter (Hg.): Citizenship. Soziologie der Staatsbürgerschaft, Wiesbaden, 45–102.

Mau, Steffen (2007): Transnationale Vergesellschaftung. Die Entgrenzung sozialer Lebenswelten Frankfurt a.M./New York.

Pichler, Edith (2006): 50 anni di immigrazione italiana in Germania: transitori, inclusi/esclusi o cittadini europei?, in: Altreitalie. Rivista internazionale di studi sulle popolazioni di origine italiana nel mondo 33, 6–18.

– (2008): Community, Milieus und Schulkarrieren am Beispiel der italienischen Bevölkerung in Berlin, in: Hillmann, Felicitas/Windzio, Michael (Hg.): Migration und städtischer Raum. Chancen und Risiken der Segregation und Integration, Opladen/Farmington Hills, 247–261.

– (2011): Die Italiener in Berlin und ihr Selbstverständnis als neue Europäer, in: Janz, Oliver/Sala, Roberto (Hg.): Dolce Vita? Das Bild der italienischen Migranten in Deutschland, Frankfurt a.M./New York, 277–295.

Statistisches Bundesamt (2010): Bevölkerung und Erwerbstätigkeit. Bevölkerung mit Migrationshintergrund – Ergebnisse des Mikrozensus 2009 – Fachserie 1 Reihe 2.2. Wiesbaden.

– (2010): Bildung und Kultur. Allgemeinbildende Schulen, Schuljahr 2008/ 2009 – Fachserie 11 Reihe 1. Wiesbaden.

– (2011): Bildung und Kultur. Allgemeinbildende Schulen, Schuljahr 2009/ 2010 – Fachserie 11 Reihe 1. Wiesbaden.